Das Shaolin Kung Fu wird oft als die Mutter aller Kampfkünste be- zeichnet. Es ist auf jeden Fall eines der umfangreichsten und viel- seitigsten Syteme, die es gibt. Es hat sich im Laufe der Jahre nicht nur in einen Nord- und einen Südstil unterteilt, sondern über die Jahrhunderte hinweg in viele kleine verschiedene Stilrichtungen weiterverzweigt, daß man eigentlich gar nicht mehr von "dem Shaolin Kung Fu" reden kann.
Bei den verschiedenen Arten und Stilen, die alle ihren Ursprung im legendären Shaolin Kloster haben sollen und vom Meister zum Schüler weitergegeben wurden, hat sich natürlich allein schon durch die Weiter-
gabe einiges verändert. Es ist auch vieles dazugekommen und wurde weiterentwickelt, was auch zu der heutigen vielseitigen Kampfkunstlandschaft beigetragen hat.
Was aber jeder kennt, sind die legendären, atemberaubenden und spektaku-
lären Vorführungen der Shaolin Mönche. Diese sind zwar enorm beein- druckend und zeigen, was alles mit dem entsprechenden Training möglich ist, haben aber in Wahrheit gar nichts mit dem ursprünglichen Shaolin Kung Fu zu tun. Shaolin Kung Fu haben Mönche entwickelt. Glauben Sie wirklich, daß buddhistische Mönche darauf aus waren, einen auf "starker Mann" und "Show" zu machen? NEIN! Einem buddhistischen Mönch geht es in erster Linie immer um spirituelle Weiterentwicklung. Deswegen lebt er auch in einem Kloster, abgeschieden von der Außenwelt und äußeren Ablenkungen. Die Mönche haben jedoch erkannt, daß durch Gebet und Meditation alleine zwar der Geist enorm entwickelt werden kann, aber der Körper im Laufe der Jahre auf der Strecke bleibt.
So wurde mit Hilfe eines indischen Mönches (Boddidharma) ein Bewegungssystem eingeführt, welches diesen körperlich degenerierten Zustand wieder in Ordnung bringen sollte. Klug und intuitiv, wie die Mönche waren, lernten sie sehr schnell, fingen an Tierbewegungen nachzumachen und ein System aufzubauen, das ihnen wieder zu Kraft, Vitalität und Gesundheit verhalf. Das Shaolin Chi Kung war geboren und wurde im Laufe der Jahrhunderte immer weiterentwickelt. Eine spezielle Form, das Eisen- hemd Chi Kung (statische Atem- u. Anspannungsübungen) verlieh den Mönchen diesen extrem starken und unverletzlichen Körper, den wir aus den Vorführungen kennen. Daraus entwickelte sich eigentlich eher nebenbei der kämpferische Aspekt, indem die Mönche lernten, daß gewisse Techniken auch effektiv zur Verteidigung genutzt werden können. Das Kung Fu, wie diese Techniken fortan genannt wurden, entwickelte sich und wurde im Laufe der Jahrhunderte zu dem, was heute eben so legendär geworden ist, wobei die Techniken auf eine so geniale und physikalisch ausgeklügelte Art und Weise perfektioniert wurden. Der kämpferische Aspekt ist aber dennoch eigentlich ein "Abfallprodukt" des Chi Kung und war anfangs nie Ziel dieser Entwicklung.
Der Kampf ist daher eher als ein Kampf gegen sich selbst zu sehen und dient viel- mehr der persönlichen körperlichen Entwicklung und Weiterbildung. Kung Fu war also eigentlich als Gesundheitssystem gedacht! Das Shaolin Chuan Fa (ursprüngliche Tempelboxen), welches ich unterrichte, besteht dementsprechend aus den Atem- und Bewegungsübungen des Eisenhemd Chi Kung, wie zB. den 18 statischen Übungen (18 Hände des Lohan) und den Grundtechniken. Erst, wenn man diese eingermaßen beherrscht, lernt man die verschiedenen Kampftechniken und Formen des Shaolin wie zB. Poh Khek oder die Drachenkata (8 Teile). Wenn man sich darin bewährt hat, kommen die weiterführenden Techniken, wie Poh Chi (das perfekte Schlagen), Wing Tsung, Kempo, Waffenkunde, usw. . Jeder Schüler lernt aber zum Schluß das Tai Chi. Denn am Ende des extrem harten Trainings steht die Weichheit, ganz nach der vollkommenen Lehre des Yin und Yang. Shaolin Kung Fu ist demzufolge nicht nur eine Kampfkunst, es ist vielmehr ein körperliches, geistiges und gesundheitliches Entwicklungssystem. So habe ich es vor über drei Jahrzehnten gelernt und in diesem Sinne möchte ich es mit viel Hingabe und Einfühlungsvermögen weitergeben.
Nur der Schwache wappnet sich mit vermeintlicher Härte, wahre Stärke kann sich Freundlichkeit, Gelassenheit und Demut leisten.
Herzlichst
Ihr Sifu Volker Badziong